Mit der neuen E-Bike-Serie „Vado SL“ präsentierte Specialized sicherlich eine der spannendsten Urban Bike-Neuheiten in diesem Jahr. Grund dafür ist vor allem ein vollkommen neu konstruierter Mittelmotor-Antrieb. Dieser bietet zwar weniger Power als vergleichbare Mittelmotoren, ist dafür aber äußerst leicht – was sich dann auch in einem recht geringen Gesamtgewicht des Bikes widerspiegelt und obendrein für ein sehr natürliches Fahrgefühl sorgen soll. Ob sich das Konzept auch in der Praxis bewährt, wird dieser Test zeigen.
Design
Auf den ersten Blick muss man zweimal hinsehen, ob es sich dabei auch um ein E-Bike handelt: Im Vergleich zu den bekannten Bikes der regulären Vado-Serie mit ihrem kräftigen und voluminösen Brose-Antrieb wirkt das neue Vado SL geradezu grazil. Der Rahmen orientiert sich dabei am aktuellen Specialized-Design, wie wir es schon von den Sirrus Urban Bikes kennen. Im direkt Vergleich dazu fallen einem dann auch das etwas dickere Unterrohr mit dem Akku und der Mittelmotor auf. Dessen Größe wird gut vom Kettenblatt kaschiert. Auf der gegenüberliegenden Seite erkennt man aber seine wahre Größe und dort ist auch recht auffällig die Ladebuchse angebracht – das hätte man auch etwas eleganter lösen können. Ansonsten gibt sich der elektrische Antrieb kaum zu erkennen: auf dem Oberrohr befindet sich lediglich ein schwarzes Bedienelement und am Lenker ein kleiner Taster. In Summe eine recht unauffällige Integration, welche das Vado SL mehr nach klassischem Fahrrad als nach E-Bike aussehen lässt.
Das hier getestete Modell 4.0 trägt das EQ im Namen. Dies steht für Equipped und bezeichnet die Commuter-Ausstattung aus Schutzblechen, Gepäckträger und Licht. Der klassisch geformte Gepäckträger ist dabei sicherlich praktisch, etwas unauffälliger wären aber seitliche Taschenhalter gewesen, wie man sie derzeit an vielen anderen aktuellen Bikes sieht. Ähnliches gilt für die Schutzbleche: in der Funktion top, da sie weit nach unten gezogen sind. Nicht ganz so hübsch allerdings, dass ihre flexiblen Endstücke einen größeren Abstand zum Reifen haben. Letztlich sei hier auch eine Eigenheit am Steuersatz erwähnt: dessen recht voluminöses Unterteil dreht sich beim Lenkeinschlag mit, was technisch gewollt und korrekt ist – optisch aber eher für Verwunderung sorgt.
Für Begeisterung sorgt hingegen die Lackierung in einem sehr hellen Taubengrau, kleine Details sind im Kontrast dazu in einem grellen Neon-Orange ausgeführt. Eine coole Farbkombination, die durch die mattschwarzen Anbauteile mit ebenso schwarzen, aber reflektierenden Elementen komplettiert wird. In Summe ist bringt das Vado SL praktische Funktion und sportliches Design gut in Einklang.
Ausstattung
Zentraler Bestandteil ist hier der neue Antrieb namens SL 1.1, welcher in Zusammenarbeit mit Autozulieferer Mahle entstanden ist. Seine Premiere feierte er im High-End Rennrad Creo SL, danach erschien er im ähnlich positionierten Mountainbike Levo SL und nun findet er also in der neuen Vado SL-Serie Verwendung. Die Daten sind dabei jeweils identisch: der Motor leistet maximal 240 Watt und 35 Nm Drehmoment. Beide Werte liegen – gemessen an anderen Antrieben – um unteren Bereich, sollen aber für ausreichende Unterstützung sorgen. Doch dazu mehr im Fahreindruck weiter unten. Auch der Akku ist mit einer Kapazität von 320 Wh eher klein, soll aber laut Specialized bis zu beachtlichen 130 km Reichweite bieten. Dieser ist fest im Rad verbaut und kann zum Aufladen nicht entnommen werden. Eine interessante Option ist der als Zubehör erhältliche Range Extender: ein Zusatzakku in der Größe einer Trinkflasche, welcher zusätzliche 160 Wh Kapazität bietet und die Reichweite dann auf 190 km erhöhen soll.
Die Kettenschaltung mit 10 Gängen stammt aus der soliden Deore-Serie von Shimano, die hydraulischen Scheibenbremsen kommen von Tektro (Modell HD-R290). Die Schutzbleche und der Gepäckträger wurden beim Design schon angesprochen, ergänzend dazu sei auch der serienmäßg verbaute und stabile Fahrradständer erwähnt. Die Lichtanlage stammt von Lezyne, als Scheinwerfer kommt hier das Modell Hecto STVZO E65 mit angenehm hellen 210 Lumen zum Einsatz.
Mit 38 mm Breite bieten die Reifen einen guten Kompromiss aus Sportlichkeit und Fahrkomfort. Letzterer dürfte übrigens bei den 5.0er Modellen der Vado SL-Serie nochmals erhöht sein, da dort am Steuersatz das Future Shock 1.5-System verbaut ist, welches bis zu 20 mm Federweg bieten soll.
Beim Gewicht zeigt das Vado SL dann die Vorteile des leichten Motors, welcher selbst nur 1,95 kg wiegt. Das gewogene Gesamtgewicht liegt bei genau 17 kg – ein guter Wert für ein Mittelmotor-Bike mit kompletter Commuter-Ausstattung.
Bedienung
Schon bei der Bedienkonzept zeigt sich, dass beim Vado SL das Radfahren im Mittelpunkt steht und der elektrische Antrieb eine unterstützende, aber keine dominierende Funktion hat. So verzichtet das getestete Vado SL auf ein klobiges Display am Lenker, stattdessen nutzt man das längliche Bedienelement auf dem Oberrohr, um den Antrieb ein- und auszuschalten. Dort wird zudem die Restkapazität des Akkus mit blau beleuchteten Balken angezeigt, außerdem der gewählte Fahrmodus mit einem dreigeteilten Kreis dargestellt (für die Fahrmodi eins bis drei).
Auf der linken Lenkerseite befindet sich zudem ein kompakter Taster, mit dem die Fahrmodi per Plus- und Minus-Taste durchgeschaltet werden können. Auch ist dort eine Taste für die Schiebehilfe integriert sowie eine Boost-Taste, die bei Druck direkt in den höchsten Fahrmodus schaltet. Die Steuerung des Antriebs bei der Fahrt ist damit insgesamt kinderleicht und intuitiv.
Über die Notwendigkeit der genannten Boost-Taste lässt sich hingegen streiten, da man bei drei möglichen Fahrmodi auch nur mit der Plus-Taste meist ähnlich schnell in den höchsten Modus wechseln kann. Deutlich sinnvoller wäre da eher eine Taste zur Steuerung der Beleuchtung gewesen; doch diese sucht man vergeblich, denn das Vado SL schaltet bei Aktivierung des Antriebs stets auch die Beleuchtung mit ein. Die Freude am Licht geht bei Specialized dabei sogar so weit, dass das Vado SL beim Aufladen die ganze Lichtanlage einschaltet. Schaltet man dann das Rad am Oberrohr wieder aus, erlischt auch wieder die Beleuchtung. Die Ladebuchse selbst ist mit einem stabilen Klappdeckel gut vor Witterungseinflüssen geschützt, das Andocken des dicken Steckers geht leicht von der Hand, wenn man erstmal den eingeprägten Pfeil gefunden hat.
Wie fast alle aktuellen Bikes lässt sich das Vado SL auch mit einer App koppeln. Die Mission Control genannte App von Specialized ist vorbildlich zu benutzen, womit sich Fahrten präzise aufzeichnen und zudem aktuelle Informationen wie Geschwindigkeit, Akkukapazität usw. darstellen lassen. Auch können dort individuelle Einstellungen der Fahrmodi vorgenommen werden. Zusätzlich es gibt die Smart Control-Funktion, welche die Motorleistung anhand individueller Fahrtdaten wie geplante Fahrzeit, Distanz, Höhenmetern und Restkapazität des Akkus automatisch anpasst – ein manueller Wechsel der Fahrmodi ist damit also hinfällig.
Fahreindruck
Die spannendste Frage beim neuen Vado SL ist sicherlich, wie sich der neu entwickelte Motor in der Praxis macht. Zunächst kann man feststellen, dass trotz der vergleichsweise schwachen Leistungsdaten im urbanen Einsatz stets ausreichend Unterstützung geliefert wird! Die drei verschiedenen Fahrmodi lassen sich per App anpassen, getestet wurde aber die Werkseinstellung.
So ist die kleinste Unterstützungsstufe sehr moderat gewählt, erst bei der mittleren und erst recht der höchsten Stufe liefert der Motor spürbar seine Power. Dies aber auch erst dann so richtig, wenn der Fahrer entsprechend in die Pedale tritt – der SL1.1-Motor scheint eine gewissen Trittfrequenz zu verlangen, damit er entsprechend Leistung liefert. Eine Charakteristik, die womöglich auf seinen Ursprung im Rennrad Creo SL zurückzuführen ist.
Die Regelung des Motors ist angenehm feinfühlig und insbesondere die Grenze von 25 km/h, bei der sich der Antrieb den Pedelec-Richtlinien entsprechend ausschaltet, ist nicht wirklich spürbar. Ein Umstand, der auch dem exzellenten Freilauf zu verdanken sein dürfte – das Vado SL rollt extrem leicht und lässt damit jedes andere von uns getestete E-Bike hinter sich. Und da sich das Vado SL recht schnell auf über 25 km/h beschleunigen lässt, ist dieser Punkt durchaus von Relevanz.
Ebenso häufig bemerkbar macht sich aber auch die Geräuschkulisse des Antriebs. Und hier muss man sagen, dass der Motor unter Belastung ziemlich laut wird und dabei ein hoher, leicht schleifender Ton zu hören ist. Damit ist das Vado SL kein Leisetreter, was sich ebenso beim geräuschvollen Klacken des Freilaufs zeigt – dies wiederum ist ein Verhalten, welches viele Fahrer als positiv empfinden.
Die Sitzposition ist sportlich, dabei aber nicht zu gebeugt und dank des breiten Lenkers hat man eine gute Kontrolle. Unterstützt wird das sichere Fahrgefühl auch von den Bremsen, die wirkungsvoll zugreifen ohne zu quietschen. Und dank der hohen Verarbeitungsqualität des Vado SL klappert selbst bei Kopfsteinpflaster nichts am Rad. Der Fahrkomfort geht dabei in Ordnung: die 38 mm breiten Reifen sorgen einerseits für zügiges Vorankommen, sind anderseits aber dick genug um auch grobe Stöße abzudämpfen. Lobenswert ist zudem der Sattel zu erwähnen, welcher auch nach längeren Strecken noch bequem ist.
Stichwort „lange Strecken”: mit einer Reichweite von 130 km wird das Vado SL von Specialized beworben, was angesichts des nicht allzu großen Akkus mit 320 Wh doch recht ambitioniert klingt. Dass solche Angaben aber stark von Fahrer und Streckenprofil abhängen, zeigte dann eine längere Testrunde von 2x 25 km. Auf der Hinfahrt mit einem Anstieg von 240 m lag die durchschnittliche Unterstützung des Motors bei 73%, verbraucht wurden dabei 105 Wh. Die Rückfahrt war von teils recht starkem Gegenwind geprägt, der Anstieg war mit 260 m minimal stärker. Hier lag dann die durchschnittliche Unterstützung des Motors bei 120%, verbraucht wurden dabei 160 Wh. Sicherlich keine perfekten Voraussetzungen für eine möglichst lange Reichweite, aber man ist in diesem Fall doch recht weit von der Herstellerangabe entfernt. Diese dürfte ohnehin wohl eher einem Laborwert entsprechen, zumal auch dem Rennrad Creo SL dieselbe Reichweite zugesprochen wird – obwohl dieses durch leichteres Gewicht, geringeren Rollwiderstand und aerodynamischere Sitzposition eigentlich deutlich weiter kommen sollte als das Vado SL. Lange Rede, kurzer Sinn: eine Reichweite von etwa 70 bis 100 km dürfte eher der Realität entsprechen, was auch in Bezug auf die Akkukapazität plausibel erscheint.
Fazit
Mit dem neuen Vado SL liefert Specialized eine attraktive Alternative zu den regulären Vado-Modellen. Im Vergleich zu den über 23 kg schweren Bikes ist das Vado SL spürbar leichter, was man auch am sportlichen Design des Bikes ablesen kann. Passend dazu gefällt der Motor mit seinem sensiblen Ansprechverhalten und dem äußert leichtgängigen Freilauf oberhalb von 25 km/h. Mit diesen Eigenschaften spricht das Bike insbesondere sportliche Fahrer an, die auch ohne E-Antrieb gerne Radfahren – sich aber an Steigungen eine Motor-Unterstützung wünschen. In Kauf nehmen muss man dabei aber das relativ laute Motorgeräusch unter Last, zudem sollte man sich nicht unbedingt auf die vergleichsweise hohe Reichweitenangabe des Herstellers verlassen. Unabhängig davon überzeugt das getestete 4.0 EQ-Modell zum Preis von 3.199 Euro mit einer guten Verarbeitung, ordentlichen Komponenten und der kompletten Ausstattung, mit der es für den urbanen Alltag jederzeit gewappnet ist.
Alle weiteren Informationen zu den verschiedenen Vado SL-Modellen finden sich auf der Website von Specialized.